Verzweiflung in der Dunkelheit – Was der Krieg für Menschen bedeutet (6)

Die Zeit vor der Wintersonnenwende am 21./22. Dezember ist für viele Menschen eine schwierige Zeit, weil die Dunkelheit schwer auf die Stimmung drückt.

Ein Besuch im Sommer mit viel Licht

Ich habe im Sommer 2024 die Ukraine für ein Schulprojekt mit dem Fahrrad besucht. Das kontinentale Klima dort in der Oblast Lemberg hat für heiße, klare Tage mit viel Sonnenschein und kurze, schwere Gewitter gesorgt. Ich hatte auch zufällig ein Apartment, das an das Bahnstromnetz angeschlossen ist. Dieses Stromnetz ist fast nicht von den teilweise tagelangen Stromabschaltungen betroffen, die wegen der Zerstörung des ukrainischen Energie- und Wärmenetzes durch die Truppen der russischen Föderation entstehen: Ich hatte immer Licht und konnte ohne Einschränkung mein Smartphone laden.

Als privilegierter Ausländer hatte ich es also im Sommer sehr gut, und die Ukrainerinnen und Ukrainer leben und arrangieren sich mit den Einschränkungen (mein Blogartikel Schokoladen-Eis im Krieg). Auf die Frage an einen jungen Ukrainer, wie das Leben mit dem Krieg in der Ukraine jetzt ist, antwortete er:

People are just trying to live their lives.

Der dritte Kriegswinter – nur noch wenig funktioniert

Jetzt in dieser dunklen Zeit, im beginnenden dritten Kriegswinter 2024/25, ist die Situation in der Ukraine zum Verzweifeln schlimm. Die Dunkelheit durch die Zerstörungen der Infrastruktur hat noch einmal zugenommen, die teilweise sehr moderne Ukraine lebt in großen Teilen ohne Strom und Heizung. Und alles, was von Elektrizität abhängt – also einfach mal alles außer Kochherden auf Propangasflaschen –, funktioniert unzuverlässig: Trinkwasser, Abwasserreinigung, Smartphones und das Handynetz, Beleuchtung, Ampeln, Kühlschränke, Geldautomaten, Kassensysteme, der Aufzug im Hochhaus, alles.

Unsere Distanz und noch keine deutschen Gefallenen…

Wir können gar nicht anders, als über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – und alle Kriege – aus einer persönlichen Distanz zu reden. Wir sind noch nicht persönlich betroffen. Dass es keine Übertreibung oder gar Kriegstreiberei ist, dass wir in sehr absehbarer Zeit auch in Deutschland Tote wegen der Verteidigung unseres Landes zu betrauern haben könnten, stellen Menschen dar, die die Situation in und um die Ukraine historisch analysieren: Eine Empfehlung ist die Ausgabe vom 10.12.2024 des Podcasts Streitkräfte und Strategien des Norddeutschen Rundfunks.

Manchen Wagenknechten und unverhohlen diktaturfreundlichen Extremisten ist billiges Gas wichtig, ihnen fehlt die menschliche Solidarität mit einem angegriffenen Opfer, und mit der Abschaffung unserer immer unvollkommenen Demokratie wären sie auch einverstanden. Außer ‘Brutalegoismus’ fällt mir dabei keine andere Zuschreibung ein.

Verzweiflung in sozialen, persönlichen und militärischen Belangen

Die Wahrung einer persönlichen Distanz zu der Situation in der Ukraine fällt schwer, wenn man im kollegialen Umfeld unvermittelt mit dem Kriegstod und dem verzweifelten Leben der Angehörigen danach konfrontiert ist:

„Ich habe meinen Sohn bekniet, nicht an die Front zu gehen. Ihm aber war es wichtig, sein Heimatland zu verteidigen. Er starb mit Anfang 20. Und jetzt kriegen die Handwerker es nicht hin, ein ordentliches Fundament für seinen Grabstein zu gießen.“

Mich erreichen Nachrichten, dass die ukrainischen Soldaten in den Schützengräben erfrieren. Und während in Deutschland schwere Geländewagen zum Einkaufen in drei Kilometer Entfernung genutzt werden, ziehen sich die Verteidiger ihres Landes bleibende Kälteschäden zu – ein Fronteinsatz ist kein Abenteuerurlaub mit einer warmen Dusche und trockenen Klamotten am Abend.

Die militärische Unterstützung der westlichen Staaten – das Thema wird hier einen eigenen Artikel bekommen – ist gerade so groß, dass ein Vormarsch der russischen Truppen noch aufgehalten werden kann.

Wir legen als soziale Gesellschaft Wert auf Unterstützung von Randgruppen, auch wenn diese häufig noch lange nicht ausreichend ist: Kranke, alte Menschen, Obdachlose, Drogenkranke, von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Behinderte können zumindest auf Hilfe hoffen. In der Ukraine ist der deutlich schwächere Sozialstaat durch den Krieg soweit zusammengebrochen, dass man von der direkten Solidarität des Nachbarn abhängig ist.

2016 war ich das erste Mal in der Ukraine, und wir besuchten mit der Gruppe um den Osteuropa-Spezialisten Hartmut Ziesing ein Hilfsprojekt für Drogenkranke, die in der Ukraine eingesperrt und nicht therapiert wurden. Was ist daraus geworden? Wie geht es den Menschen, die sich Krokodil – eine Mischung aus abgeschabten Streichholzköpfen und Hustensaft – gespritzt haben?

Die eigene persönliche Verzweiflung, aus der Distanz und mit beschränkter Kraft und Mitteln nur geringe finanzielle Unterstützung zu leisten, ist da eher sentimentaler Natur.

Verzweifeln, aber nicht aufgeben!

Und trotzdem: Die Ukrainer geben nicht auf, auch wenn sie – nicht wir! – jeden Grund haben, kriegsmüde zu sein. Und so versuche auch ich, einen Plan für ein neues Projekt zu schmieden: Ein Blockheizkraftwerk für Wärme und Strom für die Schule in Drohobytsch. Auch wenn es nicht klappt:

Aufgeben gilt nicht!

 

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